Schwimmen auf der Mittel- und Langdistanz
- die unterschätzte erste Disziplin
PTO Championships Daytona 06.12
Am 06.12.2020 fand das große Triathlonereignis des Jahres auf dem Speedway von Daytona statt. Das Rennen war nicht nur gut besetzt, im Endeffekt hatte sich die gesamte Triathlonelite mit Ausnahme von Jan Frodeno und Patrick Lange versammelt, um eine große Triathlonshow zu veranstalten und den besten Triathleten beziehungsweise die beste Triathletin des merkwürdigen Sportjahres 2020 zu küren. In früheren Zeiten konnte sich ein Triathlet selbst im Profibereich in gewisser Weise eine schwache erste Disziplin leisten. Hier sei nur an Norman Stadler erinnert, der 2004 und 2006 seine für Profiverhältnisse schwache Schwimmleistung durch Monsterleistungen auf dem Rad kompensieren konnte. Heutzutage sehen die Verhältnisse anders aus und im Folgenden möchte ich am Beispiel von Lionel Sanders erläutern, warum das Schwimmen im Triathlon einen weit höheren Stellenwert einnimmt als noch vor 15 Jahren.
Lionel Sanders und sein Schwimmproblem
Lionel Sanders, ein von mir sehr geschätzter Triathlet, dessen Videos ich mir sehr gerne anschaue, kam mit fast 3:30 Minuten Rückstand auf die Schwimmspitze auf die Radstrecke. Man kann getrost sagen, dass es viele Agegrouper gibt, die zu einer ähnlichen, in einigen Fällen sogar besseren Schwimmleistung in der Lage wären. Umso beeindruckender ist für mich, dass Sanders es schaffte, noch bis auf Platz vier vorzulaufen, was er seiner starken Bike-Run-Kombination und seinem unerbitterlichem Willen zu verdanken hat. Im Vergleich zu Gustav Iden, dem Sieger des Rennens, der lediglich etwa eine Minute Schwimmrückstand auf die Spitze hatte, musste Sanders also extrem viel auf dem Rad investieren, um überhaupt erst einmal in die TOP 15 vorzupreschen. Die Last des Schwimmrückstands macht sich dann in der Folge auch beim Laufen bemerkbar, da durch das hohe Investment beim Radfahren auch die Laufleistung beeinträchtigt wird. Dieses Problem hat auch Sanders erkannt und wird von daher in den nächsten Monaten seinen Fokus auf das Schwimmen legen. Sollte diese Konzentration auf das Schwimmen zu einer besseren Schwimmleistung von Sanders führen, so ist er für mich der große Favorit für den Ironman 2021 auf Hawaii. Gelingt ihm keine Verbesserung, ist vielleicht noch eine TOP5 Platzierung im Bereich des Realistischen, für den erträumten Hawaiisieg wird es aber nicht reichen.
Warum das Schwimmen von Triathleten meist in seiner Bedeutung unterschätzt wird
Das Beispiel von Sanders zeigt eindrucksvoll, dass die Zeiten, in denen ein Triathlet eine schlechte Schwimmleistung kompensieren konnte, vorbei sind. Dies gilt für den Profibereich natürlich noch einmal deutlich mehr, da einerseits immer mehr Athleten und Athletinnen von der Kurzdistanz auf die Mittel- und Langdistanz wechseln und andererseits die Radleistung aufgrund immer besserer Aerodynamik ein wenig an Bedeutung verloren hat. In den letzten Jahren zeigt sich im Profibereich eine Tendenz dazu, dass am Ende die Laufleistung über Sieg und Niederlage entscheidet. Voraussetzung dafür aber ist, dass sowohl im Schwimmpart als auch im Radpart keine deutlichen Ausrutscher nach unten auftreten.
Im Agegroupbereich auf der Langdistanz sieht die Situation noch etwas anders aus, aber auch hier wird das Schwimmen unterschätzt. Sicherlich ist es so, dass dem Radfahren bei den Agegroupern die größte Bedeutung zukommt, da einigen berufsbedingt einfach die Kilometer auf dem Rad fehlen und beim Wettkampf nun einmal die meiste Zeit auf dem Rad verbracht wird. Doch auch bei den Agegroupern zeigt sich gerade im Männerbereich aufgrund einer immer höheren Konkurrenzdichte, dass eine schwache Schwimmleistung nicht mehr auszugleichen ist, wenn man höhere Ansprüche hat. Ein weiterer wichtiger Punkt, der oftmals unterschätzt wird, ist das Investment in die erste Disziplin. Ist mein Schwimmniveau nicht hoch genug, sodass ich im Wasser mehr investieren muss, um beispielsweise eine gute Radgruppe zu erwischen, beeinträchtigt dies in der Folge die Rad- und die Laufleistung, da man beim Schwimmen schon zu sehr ins Defizit gekommen ist.
Welche Schlüsse daraus zu ziehen sind
Vernachlässigt das Schwimmen nicht. Gerade wenn ihr eine Schwimmschwäche habt, solltet ihr gezielt und häufig das Schwimmen trainieren. Und ich kann das gut nachvollziehen, dass man weniger Lust auf das Schwimmen hat. Obwohl ich früher Spezialschwimmer war und daher ein recht guter Schwimmer für Triathlonverhältnisse bin, macht mir das Schwimmtraining deutlich weniger Spaß als das Rad- oder Lauftraining an der frischen Luft, zumal Schwimmen mit einem größeren Aufwand verbunden ist. Schwimmtraining für schlechte Schwimmer ist dann sicherlich noch einmal frustrierender. Aber noch frustrierender ist es, beim nächsten Wettkampf wieder aller Chance auf eine sehr gute Platzierung beraubt zu sein, weil man zu schlecht geschwommen ist. Also überwindet euren inneren Schweinehund. Und auch gute und solide Schwimmer sollten mindestens 10km pro Woche ins Wasser, um das Schwimmniveau zu halten und sich somit eine gute Rad- und Laufleistung zu sichern.
Zusammenfassend könnte man also sagen:
Einen Triathlon gewinnt man nicht im Wasser, man kann ihn aber im Wasser verlieren!
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